Interview mit Dr. Nadine Absenger

Interview mit Dr. Nadine Absenger, DGB Bundesvorstand, Abteilungsleiterin Recht, zum Thema: „Brennpunkte der Tarifbindung aus Sicht des DGB“

Wie nimmt der DGB über alle Gewerkschaften hinweg das Thema "Tarifbindung" wahr?

Tarifverträge bieten die Gewähr für gute Arbeitsbedingungen und sichere, auskömmliche Löhne; sie sind unverzichtbar für den Staat und Beschäftigte. Leider ist jedoch die Tarifbindung seit Jahren rückläufig. Nur noch knapp 30 % der Betriebe sind tarifgebunden; in ihnen arbeiten nicht einmal 60 % der Beschäftigten. Ein wichtiges Ziel der rechtspolitischen Arbeit des DGB ist es daher, sich in Politik und Gesetzgebung, aber auch beim Sozialpartner für mehr Tarifbindung und mehr Tarifgeltung einzusetzen. Dazu benötigen wir u.a. eine weitere Reform der Allgemeinverbindlicherklärung, weniger OT-Mitgliedschaften, bundesweite Tariftreue aber auch erweiterte Möglichkeiten tariflicher Differenzierungsklauseln.

Wo sind die Gefahrenstellen für die Tarifbindung?

Gefahren für die Tarifbindung liegen vorrangig in Tarifflucht von Arbeitgebern, erheblicher Zunahme sogenannter OT-Mitgliedschaften (ohne Tarifbindung), Erosion von Betrieben, der Zunahme atypischer Beschäftigung und Individualisierung. Die Bundesregierung, der Gesetzgeber und die Sozialpartner sind daher aufgerufen, sich gemeinsam für stärkere Tarifbindung einzusetzen; im Koalitionsvertrag fehlen entsprechende Verpflichtungen dazu leider weitgehend.

Welche Eckpfeiler setzt der DGB im Hinblick auf die Sicherung der Mitbestimmung?

Der DGB kämpft seit Jahren für mehr Mitbestimmung in Deutschland – wir brauchen mehr Betriebsräte und mehr und stärkere Mitbestimmungsrechte. Betriebsräte, Wahlbewerber und -initiatoren müssen besser geschützt und Behinderung von Betriebsratsarbeit und -wahlen müssen empfindlich sanktioniert werden, zudem muss das BetrVG zeitgemäße Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte vorsehen, insbesondere auch in Zeiten von Arbeiten 4.0.

Wie hat sich die Rechtslage zu Tarifautonomie und Tarifbindung entwickelt?

Tarifautonomie und Streikrecht sind verfassungsrechtlich garantiert. Trotzdem ist auch der Gesetzgeber weiterhin gefordert, einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Tarifbindung zu leisten – so sind z.B. tarifdispositives Gesetzesrecht und Möglichkeiten arbeitsvertraglicher Bezugnahmen auf Tarifverträge durch nicht Tarifgebundene einzuschränken. Hingegen sind die Möglichkeiten tariflicher Differenzierungsklauseln auszubauen.

Ein Blick nach vorn: Was muss sich ändern im Kampf für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Was sind die vordringlichsten Herausforderungen?

Auch in 2020 bleibt viel zu tun – die vordringlichsten Forderungen zur Verbesserung von Arbeitnehmer-Rechten und Arbeitnehmer-Schutz sind: Tarifbindung und Mitbestimmung ausbauen, atypische Beschäftigung einschränken, gesunde Arbeitsbedingungen gewährleisten und (unbezahlte) Überstunden reduzieren.