Interview mit Prof. Dr. Olaf Deinert

Interview mit Prof. Dr. Olaf Deinert, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Georg-August Universität Göttingen, zum Thema: „Tarifbindung und Tarifautonomie“

Welche Bedeutung haben Tarifbindung und Tarifautonomie in einer arbeitsrechtlichen Wertung?

Tarifautonomie ist die Regelung der eigenen Angelegenheiten durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Hier werden die Arbeitsbedingungen verbindlich durch diejenigen festgesetzt, die wegen ihrer Sachnähe bessere Regelungen schaffen können als der Gesetzgeber.

Warum macht es aus Sicht des Arbeitsrechts Sinn, sich der Tarifautonomie und der Tarifbindung zuzuwenden?

Die autonome Regelung der Arbeitsbedingungen macht nur Sinn, wenn die Akteure in der Lage sind, die Arbeitnehmer effektiv zu schützen. Dies wiederum hängt auch davon ab, wer im Wege der Tarifbindung noch solchen Schutz genießen kann.

Warum ist aus juristischer Sicht eine Stärkung der Tarifautonomie notwendig? Ist dies überhaupt notwendig?

Die Qualität der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen hängt auch davon ab, wie viele Arbeitnehmer organisiert sind und durch ihre Zahl die Gewerkschaften so stark machen, dass diese eine hinreichende Gegenmacht gegenüber den Arbeitgebern aufbauen können.

Was sind die Eckpfeiler von Tarifbindung und Tarifautonomie?

Das System vertraut auf starke und unabhängige Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Dafür bedarf es einer breiten Mitgliederbasis. Dort, aber auch nur dort, wo ein effektiver Arbeitnehmerschutz nicht durch mitgliedschaftliche Tarifbindung hinreichend gewährleistet werden kann, muss der Staat durch Allgemeinverbindlicherklärung unterstützen. Das Tarifsystem muss durch ein Arbeitskampfrecht begleitet sein, das es möglich macht, dass beide Seiten des Tarifvertrages ein Verhandlungsgleichgewicht erhalten.

Wo muss aus wissenschaftlicher Sicht die Gesetzeslage neu justiert werden?

Es gibt vielfältige Ansätze, am System etwas zu verändern, damit die Tarifautonomie gestärkt wird. Dabei muss es vor allem darum gehen, die Mitgliedschaft in den Verbänden attraktiver zu gestalten, damit diese in der Lage sind, ihre eigenen Angelegenheiten selber zu regeln. Dazu kann die Rechtsordnung vielfältige Anreize aufbauen. Dort wo der Gesetzgeber sinnvollerweise von gesetzlichen Standards abweichende tarifliche Regelungen erlaubt, sollte er beispielsweise nur tarifgebundene Arbeitgeber davon profitieren lassen. Außerdem sollte mehr als bisher gestattet werden, Differenzierungen zugunsten von Gewerkschaftsmitgliedern in Tarifverträgen zu regeln.