Interview mit Dr. Wolfgang Kozak

Interview mit Dr. Wolfgang Kozak, Leitung Beratung bei der Arbeiterkammer Wien, zum Thema: „Tarifautonomie und Tarifbindung aus österreichischer Sicht“

Lassen sich deutsche Verhältnisse mit österreichischen vergleichen, wenn es um die Themen „Tarifautonomie" und „Tarifbindung" geht?

Nein. In Österreich besteht da eine ganz unterschiedliche Rechtslage. Dies erklärt sich zum einen dadurch, dass es durch die gesetzliche Mitgliedschaft zu den Kammern, der staatlichen Berufsvertretung in Form staatlicher Selbstverwaltungskörper auf Arbeitgeberseite einen Big Player, die Wirtschaftskammern Österreich gibt, die rund 90 Prozent aller Kollektivverträge abschließt. Abschlusspartner ist auf Arbeitnehmerseite der Österreichische Gewerkschaftsbund mit seinen einzelnen Fachgewerkschaften.

Zusätzlich bedarf es für die Anwendung des in Österreich Kollektivvertrag genannten Tarifvertrages nur, dass der Arbeitgeber der abschließenden Vertragspartei angehören muss, was durch die erwähnte gesetzliche Mitgliedschaft der Arbeitgeber zur Wirtschaftskammer gegeben ist. Arbeitnehmer müssen hingegen nicht Mitglied des ÖGB und seiner Teilgewerkschaften sein. Es sind alle Arbeitnehmer aufgrund der „Außenseiterwirkung“ des Kollektivvertrages umfasst. Für jenen Bereich, in welchem die Wirtschaftskammer keine Kollektivverträge abschließen kann, wurden fast flächendeckend tariffähige Arbeitgeberzusammenschlüsse gebildet, die Kollektivverträge abgeschlossen haben.

Dazu existieren noch die Ausdehnungsmöglichkeiten von Kollektivverträgen durch Verordnung im Rahmen von Satzungen und Mindestlohntarifen. Grundsätzlich wird in Österreich auch davon ausgegangen, dass im Rahmen dieser Sozialpartnerschaft alle Wirtschaftsbereiche durch kollektive Regelungen erfasst sein sollen. Der Abdeckungsgrad verpflichtender Kollektivverträge etc. beträgt daher in Österreich nahezu 99 %.

Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus, wenn Sie auf Mitbestimmung und Tarifbindung in Österreich im Jahr 2030 blicken?

Die Welt ist im Wandel. Gerade die Entwicklung der Technologisierung und die Auflösungserscheinungen der traditionellen Betriebsstätten werden es notwendig machen, die Regeln der Mitbestimmung, die in hohem Maß an einen traditionell industriellen Fertigungsprozess ansetzen, in effektiver Weise anzupassen. Dasselbe gilt für das österreichische System der Sozialpartnerschaft. Gerade wirtschaftsliberale Kreise versuchen, diese bewährte Form des gesellschaftlichen Umgangs und Verhandlungsausgleiches als veraltet zu brandmarken.

Gleichzeitig wird versucht, Inhalte, die nach derzeitig geltendem Recht der Regelung durch Kollektivverträge vorbehalten sind, auf betriebliche Ebene zu verschieben und so die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerseite zu schwächen, beziehungsweise Regelungsinhalte gleich auf Einzelvertragsebene zu belassen und so ebenfalls eine entsolidarische Wirkung zu erzielen.

Durch die umfassende Fachkompetenz der Sozialpartner und dem forcierten Interessenausgleich sind auch auf kommunaler Ebene wirtschaftliche Drucksituationen durch finanziell übermächtige Unternehmen zumindest stark abgemildert. Hilfreich ist hier die allgemeine Akzeptanz der Player der Sozialpartnerschaft, Arbeiterkammer, ÖGB und Wirtschaftskammer in der Bevölkerung. Die Sozialpartnerschaft hat bis jetzt den politischen Angriffen standgehalten. Ebenso gleichbleibend ist die Erwartungshaltung in Österreich, dass die Mindestarbeitsbedingungen nahezu flächendeckend durch die Kollektivverträge (der Sozialpartner) geregelt sind.

Hat sich durch den Regierungswechsel in Wien etwas an der Stimmung im Land geändert?

Ja eindeutig, war in der letzten Regierung bereits im Regierungsprogramm vorgesehen, die Sozialpartnerschaft zu schwächen, wenn diese nicht abgeschafft werden könne, so versucht die jetzige Regierung zumindest nach den derzeitigen Aussagen das „zerbrochene Porzellan“ wieder zu kitten und die unterbrochene erfolgreiche Zusammenarbeit wieder aufzunehmen.

Insofern kann von unserer Warte aus sicher wieder im Sinne einer guten Wirtschaftsentwicklung, die eine faire und gerechte Weiterentwicklung des Arbeits- und Sozialrecht beinhaltet, positiver in die Zukunft geschaut werden, als dies noch vor der letzten Wahl der Fall war.