Interview mit Michael Martin

Interview mit Michael Martin, Betriebsratsvorsitzender/Konzernbetriebsratsvorsitzender Sirona Dental Systems GmbH, Bensheim, zum Thema: „Mitbestimmung auf internationaler Ebene“

Wie funktioniert in einem internationalen Konzern - im Vergleich zu nationalen Unternehmen - die Mitbestimmung?

Auf Arbeitnehmerseite unterscheidet sich die Mitbestimmung grundsätzlich nicht. Es geht immer um die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer. Sollte Einigkeit zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitervertretung bestehen, werden Themen umgesetzt. Problematisch wird es bei Unstimmigkeiten. Hier greift man im letzten Schritt zu Rechtsmitteln. Dies wird bei international aufgestellten Konzernen schwierig bis unmöglich, da die Mitbestimmung an den Grenzen von Deutschland endet. Wenn z. B. das beherrschende Unternehmen nicht in Deutschland seinen Sitz hat, gibt es keinen Konzernbetriebsrat. Auch gibt es dann keine rechtliche Grundlage, um sich auf Betriebsratsseite untereinander auszutauschen.

Wie erfolgt die Kooperation mit ausländischen Unternehmensteilen, wenn es um Mitbestimmung geht?

Da gibt es natürlich die Möglichkeit einen ERB einzurichten. Dieser hat aber mit wirklicher Mitbestimmung wenig zu tun. Der Arbeitgeber hat eine gewisse Verpflichtung, die Arbeitnehmervertretung zu informieren, mehr nicht. Auch hier fehlt jegliche gesetzliche Grundlage einer Mitbestimmung im Sinne einer Vertretung der Arbeitnehmerinteressen. Dies wäre aber zwingend erforderlich. Nicht nur große Firmen sind international tätig, auch im Mittelstand sieht man Vorteile, Standorte im Ausland zu errichten. In manchen Ländern ist dies überhaupt Voraussetzung, um dort auf dem Markt Umsatz generieren zu können.

Haben deutsche Tarifabschlüsse Auswirkungen auf die ausländischen Unternehmensteile?

Zum Glück wirken Regelungen und Tarifabschlüsse auch über die Grenzen hinaus, im positiven, wie aber auch im negativen. Dies sind aber nicht die einzigen Standortfaktoren. Qualifikation, Infrastruktur bis hin zum sozialen Frieden spielen eine Rolle. Nicht jeder Arbeitgeber erkennt dies aber immer. Es gibt immer wieder Diskussionen um Stundenlöhne und ihre Vergleichbarkeit. Darauf reduziert ist es nicht der Weisheit letzter Schluss, um sich für oder gegen einen Standort zu entscheiden.

Wie werden die Kollegen vor Ort unterstützt, wenn es um internationale Angelegenheiten bei der Mitbestimmung geht?

Dies geht in erster Linie nur über die Gewerkschaften, aber auch dort gibt es keine länderübergreifenden Regelungen. Hier ist es von Vorteil, wenn Erfahrungen vorhanden sind, die weitergegeben werden. Länderübergreifend sind auch die unterschiedlichen Kulturen zu berücksichtigen, was die Interessensvertretung nicht immer einfach macht. In Deutschland haben wir ja Konsens, dass in einem Betrieb eine Gewerkschaft vertreten ist – in der Regel. Dies macht für mich sehr viel Sinn, da die Interessenvertretung letztendlich eine Machtfrage ist. Wenn sich Arbeitnehmer noch aufteilen lassen würden, wäre auch diese Kraft (auf)geteilt.

Hat es große Veränderungen in der letzten Tarifdiskussion gegeben? Oder kommt durch die Internationalisierung Druck auf? Wie begegnet ein nationaler Betriebsrat solchen Veränderungen?

Hier kann ich natürlich nur für meine Branche bzw. mein Umfeld sprechen. Grundlegend gibt es zwei große Themen, die es immer wieder zu regeln bzw. zu verbessern gilt: a) Entgelt b) Arbeitszeit. Da gibt es viele Möglichkeiten, kreativ damit umzugehen. Ein wichtiger Schritt ist für mich, dass wir endlich vorankommen bei der Protokollierung jeglicher Arbeitszeit. Da gibt es Tausende von Arbeitsstunden, die nicht vergütet werden und den Arbeitsdruck kontinuierlich erhöhen. Da sind auch die Gewerkschaften zu spät aufgewacht. Seit dem Zeitalter von Laptop und Handy ist Arbeiten von fast jedem Ort möglich. Auch wäre technisch eine Erfassung solcher Arbeitszeiten überhaupt kein Problem, und ich verstehe unsere Regierung nicht, warum hier nicht schon längst Regelungen umgesetzt sind. Es nützt doch nichts, wenn auf der einen Seite ein Mindestlohn diskutiert wird, aber die Arbeitszeiten nicht ordnungsgemäß protokolliert werden.